Untergang des Abendlandes oder neue Kreativität

Schreiben im digitalen Zeitalter

Etwa tausendWorte zum Thema -so lautet die Aufgabe. Das ist eine ganze Menge – und dann auch noch über Sprache. Was ist paradoxer, als einen Text über Sprache zu schreiben?
Sicher kennen viele Leser den Ausruf der Älteren „Diese Jugend von heute…“. Die nun unweigerlich folgende Konkretisierung kann jeder selber ergänzen und ich bin überzeugt, dass der Katalog der möglichen zweiten Halbsätze bei vielen fast der gleiche ist. Die Sorge um die heutige Jugend ist aber ohne Zeit und Raum: Vor etwa 2400 Jahren war es der Philosoph Sokrates, dem es nachweislich vor einer Zukunft mit diesen jungen Menschen graute. Der Schriftsteller Ottokar Domma wandte sich vor ca. 50 Jahren ebenfalls dieser Thematik zu. In seiner Reihe mit dem Protagonisten Ottokar gibt es die Geschichte „Der Tag der Wahrheit“, in der die Unterschiede zwischen der Jugend von gestern und heute sehr anschaulich beleuchtet werden. An dieser Stelle eine kleine Lese- oder Hörempfehlung.
Die Jugend von heute verbringt unstrittig viel Zeit im Netz. Mit Netz ist offenkundig das Internet gemeint. Jetzt werden einige Leser sagen: „Moment, das ist doch das, was bei mir zu Hause auch aus der Wand kommt?!“ – Ein Satz, mit dem man nicht nur Informatiker und Elektriker zur schieren Verzweiflung treiben kann. Leute, die solche Sätze in der Öffentlichkeit sagen, sind nach meiner Beobachtung auch genau die, die sich über den Verfall der deutschen Sprache durch soziale Medien echauffieren, sozusagen den „Untergang des Abendlandes“ fürchten. Oder besser gesagt: ihn „herbeireden“.

Tagtäglich werden im NetzMillionen Wörter geschrieben. Es wird gepostet, kommentiert, gebloggt, gechattet, gewhatsapt oder gesimst. Den ältesten dieser Begriffe -dass „Simsen“ -kennen einige der jüngeren Mitmenschen vermutlich nicht mal mehr. Ein schönes Beispiel dafür, wie schnelllebig unsere Zeit geworden ist. „Simsen“- oder wie es korrekt heißen muss: „eine SMS schicken“- konnte man erst seit 1992. Heute -rund 20 Jahr später -ist die SMS in Ihrer Bedeutung längst schon wiederverdrängt worden. Ihr erging es damit ähnlich wie den alten Magnetbandspeichermedien, den „Kassetten“ (Ein Onlinemagazin schlug deshalb schon vor, die Alterssperre in Onlinespielen durch das Bild einer VHS zu ersetzen und nach der korrekten Bezeichnung zu fragen…), aber auch den Telefonzellen erging es nicht besser. Telefonzellen? Eine, durch Smartphones längst veraltete Technologie, die der jungen Generation etwa so erklärt werden muss: „Telefonzellen,… das sind Handys in die man hinein gehen musste…“(In London sind sie immer noch rotes Wahrzeichen im Stadtbild. Anm. der Red.)Diese Wörter sind in unserem Sprachgebrauch noch nicht sehr lange vertreten und schon wieder veraltet. Umgekehrt gibt es aber immer wieder neue Worte. Mein Schreibprogrammkennt das Wort „gepostet“ nicht und schlägt mir an dessen Stelle „geprostet“ oder gar „gepustet“ vor. Wobei…, so ganz falsch ist es dann doch nicht. Hinzu kommt, dass diese Nachrichtensehr oft in Eile geschrieben werden. Aus diesem Grund ist es leicht nachvollziehbar, dass sie reinste Pfuhle an Fehlern sind.
Lehrer bestätigten in einer Studie, dass die orthografischen Fehlerbei Schülern in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Kurioserweise aber sollen die Texte insgesamt jedoch lebendiger und ansprechender geworden sein. Eine Ansicht, die nicht viele aus der Lehrerschaft an unserer Schule teilen. Ich befürchte, eigentlich gar keiner. Die Zunahme der Fehler kann aber nicht nur die Schuld der sozialen Medien sein, eine Mitschuld ist jedoch nicht auszuschließen. Wenn ich mit meinen Klassenkameraden schreibe, kommt es mir vordergründig darauf an, dass meine Botschaft ankommt. Und dann ist die Rechtschreibung eben erst mal Nebensache. Es ist aber durchaus nicht so, wie viele denken, dass uns Jugendlichen die Rechtschreibung egal sei. Nicht selten werde ich nämlich beim Austausch von Nachrichten mit anderen auf meine Fehler aufmerksam gemacht. Besonders, wenn es um Groß- und Kleinschreibung geht. Mein Vater vertraute mir einmal an, dass es ihm beim Lesen meiner Nachrichten nicht selten „die Fußnägel aufrollt“. Meine Mutter leidet beim Lesen meiner Texte – ähnlich wie meine Freundin – eher leise vor sich hin.

Jetzt werden viele sagen: „Ja, genau. Das kommt davon!“ Ja? Aber wovon denn? „Na, vom ganzen Zocken und so.“Was bitte ist „und so“?„Und so“ ist, so scheint es mir, das am häufigsten benutzte soziale Medium der Welt. Nur kenne ich es nicht. Auf mich trifft das auch nicht zu, verwendete ich doch selbst bis etwa zur 8. Klasse noch einen richtig alten „Siemensknochen“, also ein Telefon nur zum Telefonieren. Ach ja, simsen ging auch. Doch da der Vater knauserig ist, durfte ich es nur in Ausnahmefällen nutzen. Der „Siemensknochen“ hat mich bei„4 gewinnt“ nie siegen lassen; das ärgert mich bis heute.Auch mein erster PC und auch alle seine Nachfolger hatten keinen Internetzugang, bis heute. Das erste Smartphone habe ich mir vor knapp einem Jahr selbst geleistet. Und – da bin ich mir ganz sicher! -schon vorher war meine Schrift nicht besonders. Oftmals sitze ich bei den Hausaufgaben vor meinen Mitschriften und versuche zu erahnen, was ich dort geschrieben haben könnte. Nur wenig besser ist es mit am Computer geschriebenen Texten: Manche Worte habe ich so schludrig geschrieben, dass sogar die Rechtschreibprüfung kapituliert. Aber ich bin nicht der Einzige in meiner Klasse, der ähnliche Schwierigkeiten hat. Nicht, dass ich stolz darauf bin, aber eine Studie, an der Studenten aus zwei verschiedenen Studiengängen teilnahmen, zeigte, dass circa 10 Prozentder Probanden Probleme mit der Rechtschreibung und Grammatik haben.
Vielfach kann man lesen, dass besonders Kinder, die in der sogenannten Unterschicht aufwachsen, große Defizite verzeichnen, wenn nicht sogar die größten überhaupt. Das finde ich durchaus bedenklich. Viele Arbeitgeber erwarten sprachliche Gewandtheit, sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Bereich. Das bedeutet, dass es für diese Kinder später einmal schwer sein wird, einen guten Beruf zu ergreifen. Das kann sich zu einer nicht endenden Spirale entwickeln – und das finde ich erst recht bedenklich!
Immer mehr Menschen glauben, den bevorstehenden „Untergang des Abendlandes“ auch daran zu erkennen, dass sich in unsere Sprache kontinuierlich neue Anglizismen einschleichen und nennen bspw. Smartphone, Timer oder Countdown. Das sei fürchterlich! Ja, geradezu eine Farce! Gäbe es doch nur so viele schöne alte Begriffe wie Rendezvous, Portemonnaie, Regisseur, Automobil, Ouvertüre, Saison oder Theater! – Alles wunderbar klangvolle Worte, doch in Wahrheit kein bisschen deutsch, sondern lateinisch, französisch und sogar griechisch.
Sprache existiert nur, wenn sie lebt! Und: die Grundidee des Lebens ist der Wandel, die Veränderung. Diese Veränderung wird durch die sozialen Medien für den uns sichtbaren Zeitabschnitt nur besonders stark vorangetrieben. Das war und ist schon alles.

Etwa 25 Prozent der Jugendlichen verwenden in ihren Texten Smileys und etwa 38 Prozent verwenden Abkürzungen. Der Grund dafür lässt sich auf die Zeichenbegrenzung in den Tweets bei Twitter, den Statuszeilen bei Facebook oder WhatsApp und in den SMS finden. Was soll man denn bitte bei130 Zeichen pro Beitrag erwarten? Bestimmt nicht klar formulierte Sätze, oder? Das konnte bei den SMS schnell ins Geld gehen. Heute bei WhatsApp könnte es zwar anders sein, da man hier unbegrenzt viel schreiben kann, allerdings scheint das noch nicht zu allen durchgedrungen zu sein! Wenn mein bester Freund mir schreibt, ist das – selbst für mich – blanker Horror! Er schreibt nämlich grundsätzlich sehr, sehr minimalistisch: Alles klein. Keine Doppelkonsonanten. Alles so, wie man es sprechen würde. Ab und zu ein Satzzeichen. Oft mit Abkürzungen, die ich noch nie gesehen habe. Und Hochdeutsch fand er schon immer überflüssig. Eigentlich ein Wunder, dass ich trotzdem FAST alles lesen kann. Aber er kann, wenn er will und muss, allerfeinstes Deutsch schreiben und sprechen. Denn wir können, was viele Gegner der sozialen Medien nicht wahrhaben wollen, die Schreibwelten sehr wohl auseinanderhalten.
Übrigens: Bereits vor vielen Jahren sind ganze Bücher erschienen, in denen es kein einziges Satzzeichen und auch keine Groß und Kleinschreibung gab. Diese Bücher lassen sich durchaus flüssig lesen. Sicherlich braucht es ein kleinwenig Übung, aber es geht. Genau wie das Lesen von Wörtern mit vertauschten Buchstaben. Es geht also: man kann auch ohne Rechtschreibung überleben und sich fortbilden.

Doch richtige Sätze haben noch keinem geschadet.
Ja.
Aber mal ganz ehrlich: Regen Fehler die Kreativität nicht erst richtig an?

Anton Keller, 12b

____Quellen_________________________________________________________________________________

  • 1 Sokrates soll gesagt haben: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ (zitiert nach: http://www.gutzitiert.de/zitat_autor_sokrates_thema_jugend_zitat_11962.html)
  • 2 Domma , Ottokar: Ottokar, der Gerechte. Eulenspiegel Verlag Berlin, 1980
  • 3 „Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“ kulturphilosophisches Hauptwerk von Oswald Spengler
  • 4 http://www.gamona.de/kino-dvd/aktuelles,die- heutigen-kids- haben-keine- ahnung-was- ein-vhs-rekorder:news.html
  • 5 Michael Steinke (Stand Up Tagedy)
  • 6 Wolfgang Krischkke, Die Zeit, N 09/2011, 28.02.2011, „Schreiben in der Schule ‚Voll eklichwg schule *Stöhn*’“, hier: Z. 27-45
  • 7 Uni Bielefeld LiKOM Projekt: Fragebogen zur Selbsteinschätzung der Schreibkompetenz, http://www.uni-bielefeld.de/lili/projekte/likom/downloads/fragebogen- zur-Selbsteinschätzung- der-Schreibkompetenz.pdf
  • 8 Wolfgang Krischkke, Die Zeit, N 09/2011, 28.02.2011, „Schreiben in der Schule ‚Voll eklichwg schule *Stöhn*’“, hier: Z. 51-57
  • 9 knabenreich consult GmbH, http://personalmarketing2null.de/2011/06/16/machen-social- media-dumm-uber- das-ende- der-deutschen- rechtschreibung/, hier: Z. 22-24
  • 10 knabenreich consult GmbH, http://personalmarketing2null.de/2011/06/16/machen-social- media-dumm-uber- das-ende- der-deutschen- rechtschreibung/, hier: Z. 43-46
  • 11 knabenreich consult GmbH, http://personalmarketing2null.de/2011/06/16/machen-social- media-dumm-uber- das-ende- der-deutschen- rechtschreibung/, hier: Z. 10-13
  • 12 zum Beispiel: Thomas Lehr: September. Carl Hanser Verlag, München 2010, ISBN 9783446235571 oder Sally Salminen: Katrina, Bertelsmannverlag 1958

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