Im BRENNPUNKT der Ausgabe 1/2014/15 steht das ANDERS-SEIN. Der Artikel ANDERS SEIN in der Schule (ab S. 40) befasst sich mit der Inklusion an Schulen, insbesondere an der Lenné-Gesamtschule Potsdam.
INKLUSION. Gemeinsam anders. Nachgefragt
Die Lenné-Schule ist eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, an der Schüler nach 13 Schuljahren das Abitur ablegen. Bei uns lernen auch Schüler mit Förderbedarf verschiedenster Art, die nach der Methode der Inklusion unterrichtet werden. Deshalb haben wir nachgefragt bei Jeannette HEUSCHNEIDER, Sonderpädagogin an unserer Schule:
Frau Heuschneider, passt das zusammen? Können wir auf dem Weg zum Abitur auch den Weg einer inklusiven Schule gehen?
An unserer Schule lernen 27 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Sie fühlen sich hier wohl, weil sie viel Unterstützung und Verständnis erhalten und in einer ganz „normalen“ Regelschule mit sehr gutem Ruf lernen dürfen. Wir haben hier eine gute Arbeitsatmosphäre, ein gutes soziales Klima und können leistungsorientiert differenzieren. Im Vergleich zu anderen Schulen sind wir materiell und personell gut ausgestattet. Besonders die Eltern signalisieren mir immer wieder, wie zufrieden sie hier mit der Entwicklung ihrer Kinder sind. Abitur und Inklusion widersprechen sich nicht. Also zweimal JA, aber nur bezogen auf unsere derzeitigen Inklusions-Schüler.
Doch wie sieht es tatsächlich in unserer Schullandschaft aus?
(Fortsetzung des Artikels „Anders sein in der Schule“ der Ausgabe 1/2014/15, S. 40ff.)
Es gibt nach wie vor Förderschulen für die einzelnen Förderschwerpunkte, ihre Schülerzahlen sinken nicht signifikant, im Gegenteil. Gleichzeitig werden zunehmend Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschulen aufgenommen. Was bedeutet das?
Nach einer Erhebung von Otto Speck von 2012 hat sich „der Personenkreis der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf […] auffällig vergrößert.“ (1) Es werden definitiv mehr Diagnosen gestellt. Das betrifft, für uns deutlich nachzuvollziehen eben nicht nur die Teilleistungsstörungen Lese-Rechtschreibschwäche und Dyskalkulie, sondern auch zum Beispiel ADS/ADHS und auch die sonderpädagogischen Förderschwerpunkte, hier besonders die Bereiche emotionale und soziale Entwicklung, Autismus und körperliche Entwicklung. Alle diese Kinder haben eine durchschnittliche Intelligenz.
Auch an unserer Schule haben wir nur Inklusionsschüler, die alle nach dem Allgemeinen Regelrahmenplan unterrichtet werden. Sie liegen mit ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen meist im normalen Alters- und Leistungsspektrum. Der Förderschwerpunkt kann zudem häufig in der 9. Klasse aufgehoben bzw. nicht verlängert werden. Das heißt, bisher lernen bei uns Schüler und Schülerinnen in der Inklusion, die wie ihre Mitschüler mindestens die Berufsbildungsreife erreichen oder sogar das Abitur ablegen können.
Insofern passt es meiner Meinung nach gut zusammen, einerseits Schule auf dem Weg zum Abitur und gleichzeitig auf dem Weg zur „inklusiven Schule“ zu sein, weil ich erlebe,
– dass die Kollegen sensibilisiert werden für die einzelnen Bedürfnisse der Schüler und in ständigem Austausch mit anderen Kollegen und Sonderpädagogen stehen
– dass es normal wird, die Schüler in ihrer unterschiedlichen Bedürfnislage zu sehen
– dass Begriffe wie Toleranz und Kooperation in den Klassen thematisiert und gelebt werden und davon alle profitieren.
Doch ca. 41 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden dem Schwerpunkt Lernen zugeordnet (2), sie haben eine diagnostizierte unterdurchschnittliche Intelligenz und werden nach einem anderen Rahmenplan in allen Bereichen unterrichtet. Von den 40.200 Abgängern der Förderschulen hatten im Jahr 2010 75,3 Prozent keinen Hauptschulabschluss. Es gibt Fachleute, die meinen, dass sich dies in der Inklusion bessern wird, da es klare Hinweise dafür gibt, „dass für lernschwache Kinder das kognitive Lernen in inklusiven Schulen förderlicher ist als in ausschließenden, exklusiven Schulen“.
Allerdings gibt es hier noch kaum Erfahrungen in der Sekundarstufe 1 und in die Abiturstufe werden sie nicht weitergehen können, weil ihnen dafür die kognitiven Voraussetzungen fehlen. Nach 10 Schulbesuchsjahren gelingt ihnen dann hoffentlich der Übergang in die Berufsausbildung.
Hinzu kommen die Kinder im Schwerpunkt geistige Entwicklung, etwa 30“ von ihnen haben neben der kognitiven Beeinträchtigung noch eine zusätzliche Behinderung und 15 Prozent sowohl eine Körperbehinderung als auch eine zusätzliche Sinnesschädigung. Kinder, die nie sprechen, laufen selbständig essen lernen werden, die die Kulturtechniken, die für uns selbstverständlich sind, nie beherrschen werden. Für sie gibt es ganz andere Bildungsziele. Es geht um das Fördern basaler Fähigkeiten und um das Erreichen größtmöglicher Selbständigkeit im alltäglichen Leben. Und hier ist die Inklusion meines Erachtens nach nicht viel mehr als ein theoretisches Konstrukt.
Ich habe 2 Jahre an einer Schule für geistig Behinderte in Berlin gearbeitet und ich kann verstehen, dass es immer wieder Elterninitiativen für den Erhalt dieser speziellen Schulen gibt, weil dort auf höchstem Niveau gefördert werden kann, in Zusammenarbeit mit anderen Diensten, wie ärztlichen, therapeutischen, schulpsychologischen oder sozialpädagogischen. Es sollte für die betroffenen Familien und Kinder immer die Wahlmöglichkeit geben zwischen Förderschule oder Inklusion in der Regelschule. Otto Speck, Professor der Sonderpädagogik schlägt sogenannte Kompetenzzentren an den Inklusionsschulen vor, in denen tatsächlich all jene Dienste zusammenkommen.
Zudem denke ich, dass Kooperationsklassen an den Schulen weitaus sinnvoller wären, es gäbe gemeinsamen Unterricht und gezielte Förderung in kleinen Spezialklassen gleichsam, so dass wir im breiten Spektrum zwischen zu fordernden Abiturschülern und zu fördernden Inklusionsschülern allen auf höchstem Niveau gerecht werden könnten.
Zitatquellen: (1) Zeitschrift für Heilpädagogik. Verband der Sonderpädagogik e.V. 12/ 2012, (2) Bildungsklick.de Förderschulen Lernen ganz abschaffen 3/2012
Wir bedanken uns bei Jeannette Heuschneider für das Interview und ihre fachliche Unterstützung.