Auf der Insel der Götter

Ich kann nicht einmal mehr genau sagen, warum wir uns für Bali entschieden haben. Meine Eltern schlugen mir vor, nach der anstrengenden Abizeit unseren alljährlichen Urlaub etwas weiter weg zu verbringen als sonst. Für mich klang das ungeheuer aufregend, denn ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie Europa verlassen und nun hieß es: Auf nach Indonesien! Mir war klar, dass ich in eine völlig fremde Kultur eintauchen würde und das war spannend!

Zwischenstopp: Doch zuvor legten wir einen zweitägigen Zwischenstopp in Singapur ein. Ich wusste nicht, was ich von Singapur erwartet hatte, aber das ganz sicher nicht: eine absolute Hightech-Stadt voller Lichter und riesiger Hochhäuser. Es war überall extrem sauber, ordentlich und viel moderner, als ich es von Europa kenne – eine moderne Großstadt mit viel Grün und viel Platz. Singapur ist eine der schönsten Großstädte, in der ich je war.

Kleine Überraschungen in Singapur
Die Luftfeuchtigkeit war so extrem, dass ich das Gefühl hatte, eine warme, schwere, feuchte Decke lastete auf meinem Körper. Jeder meiner Schritte fühlte sich wie Blei an, z. B. auf dem Weg zum größten H&M-Geschäft, das ich je gesehen habe. Es erstreckte sich über vier enorm weite Etagen. Doch kaum betrat ich diesen „Palast“ der Klamotten, erlitt ich den ersten Temperaturschock dieser Reise. Bei solch hohen Temperaturen empfiehlt es sich natürlich, Klimaanlagen zu benutzen und das nehmen die Singapurianer mehr als ernst. In allen Geschäften war die Luft gefühlte 100 Prozent trockener und 10 °C kühler als draußen, sodass die Vorstellung einer heftigen Erkältung – zugezogen in den warmen Tropen – gar nicht mehr unrealistisch schien. Was mich als nächstes schockierte, waren die Kleidergrößen. Es schien nur die Größen 32 und 34 zu geben, ganz selten eine 36; eine 38 wird anscheinend gar nicht erst hergestellt. Wozu auch? Die Singapurianer sind alle sehr klein und filigran gebaut, sodass die europäischen Touristen zum Teil wirkten wie Elefanten in einer Gazellenherde.

Indonesien: Mit der Singapore Airlines überflogen wir zwei Tage später den Äquator, die Grenze zur Südhalbkugel. Ich war sehr gespannt darauf, eine andere Mentalität und Kultur kennen zu lernen als die der westlichen europäischen Länder.

Info:
Indonesien ist der größte Inselstaat der Welt. Es gibt dort 17.508 Inseln, von denen nur 6.044 Inseln bewohnt sind. Die Hälfte aller Einwohner lebt auf der Insel Java mit der Hauptstadt Jakarta, in der wiederum die Hälfte aller Java-Bewohner leben. Indonesien wurde erst 1949 von den Niederlanden unabhängig. Bali liegt zwischen Java (westlich) und Lombok (östlich) und ist somit die westlichste der kleinen Sunda-Inseln.
Man vermutet, dass ca. 1500 v. Chr. Menschen aus Südindien nach Bali eingewandert sind. 1478 zog die hinduistische Oberschicht von Java, nach Bali, da die Araber den Islam in Indonesien einführten und andere Religionen verdrängten. Mit der Zeit verselbstständigten sich die Provinzen Balis. Ihre Herrscher, die Rajas, wurden nunmehr zu Königen ihrer eigenen Reiche. Die Niederländer besetzten Bali in Etappen von 1846 bis 1908. Die Rajas verweigerten die Unterwerfung, was 4000 Balinesen das Leben kostete. Die Herrschaft der Niederländer währte bis 1942. Danach wurde die Insel bis 1945 von Japan annektiert. Am 17. August 1945 erfolgte die Proklamation Indonesiens. Seitdem ist Bali ein Teil des Landes.

Ankunft auf Bali: Mein erster Eindruck von Bali war durchaus … auch schockierend. Ich spreche hier nicht von der extrem hohen Luftfeuchtigkeit des tropischen Klimas, das beim Verlassen des Flughafens das Gefühl erzeugte, gegen eine Wand zu laufen. Nein, bereits die Fahrt zum Hotel von Denpasar nach Nusa Dua verlief sehr abenteuerlich. Auf Bali herrscht Linksverkehr. Und das war’s schon mit den Regeln! Man sieht viel mehr Motorräder als Autos auf den Straßen. Jede Familie besitzt mindestens eins. Helmpflicht gibt es nicht, scheinbar auch keine Begrenzung der Zahl der mitfahrenden Personen. Es ist Normalität, dass sich eine fünfköpfige Familie auf einem einzigen Motorrad zwischen den Autos hindurch schlängelt. Auch die begrenzte Größe des Mopeds stellt für die Balinesen kein Hindernis dar; wenn sie etwas transportieren wollen, egal von welcher Größe, es funktioniert. Es wird gehupt, überholt, gedrängelt und wieder gehupt, aber es passieren so gut wie keine Unfälle, da man hier nie schneller als 50 km/h fährt.

Insel-Rundreise: Auf unserer Rundreise entdeckten wir die Insel von ihrer schönsten Seite: die unglaubliche Schönheit der tropischen Natur, Tiere, die ich noch nicht einmal aus Büchern kannte, unzählige Tempel, in denen wir viel über die Religion lernten, Reisterrassen, soweit das Auge reichte, und nicht zuletzt die herzlich offene Art der Balinesen.

Noreen: „Im Vogelpark gibt es die merkwürdigsten Vögel, die ich je gesehen habe. Die zwei Gesellen auf meiner Schulter waren da noch relativ ‚normal‘.“

Leben: Am stärksten haben mich auf dieser Insel tatsächlich die Balinesen selbst beeindruckt. Sie führen ein einfaches, bescheidenes, sicher nicht leichtes Leben. Trotz all der schönen Seiten, die Kultur und Natur präsentieren, und obwohl Bali eine der am stärksten vom Tourismus erschlossenen und eine der wohlhabendsten Regionen Indonesiens ist, gibt es Armut, Inflation und Umweltverschmutzung. Über die Hälfte der Bewohner sind in der Landwirtschaft tätig. Andere verdienen ihr Geld im Handel-, Textil- oder Baugewerbe. Die Weltwirtschaftskrise ist hier sehr deutlich zu spüren. Die Inflationsrate beträgt auf Bali derzeit 17 Prozent. Einige Familien können ihr Geld nur noch für Essen ausgeben. Ein Guide erzählte uns, dass die meisten Familien ein Moped haben, weil es die günstigste Variante der Fortbewegung ist. Er sagte: „Sie fahren jeden Tag mit dem Moped zur Arbeit, weil eine Wohnung am Arbeitsplatz viel zu teuer ist: 700.000 Rupien pro Monat. Das können sich die meisten nicht leisten.“ Die Miete kostet im Monat also nicht einmal 70 € und ist dennoch viel zu teuer für die Balinesen. Zum Vergleich: Als wir auf Bali waren, bekamen wir für 1 Euro 11.400 Rupien.

Straßenverkehr am Nachmittag

Unser westliches Leben ist deutlich bequemer, trotzdem sah ich auf Bali fast nur fröhliche Gesichter, Gesichter, die zwar Spuren eines harten Lebens aufweisen, aber nicht so trostlos verbissen wirken, wie sie mir oft zu Hause begegnen. Die Menschen sind hier nicht hektisch, sie verbringen viel Zeit miteinander, helfen sich gegenseitig, sind immer zu Späßen aufgelegt und lachen viel. Selbst uns Touristen begrüßen sie mit der gleichen herzlich offenen Art wie Ihresgleichen. Jeder hat eigene Sorgen, aber sie tragen sie nicht ständig mit sich herum. Sie scheinen sie zeitweise völlig zu vergessen, erfreuen sich an den kleinen Dingen des Lebens und schätzen diese viel mehr als wir es können.

Kulturen: Dass die Menschen in tropisch warmen Gebieten generell kleiner zu sein scheinen als in kühleren Regionen, war mir bereits in Singapur aufgefallen. Sowohl in Singapur als auch auf Bali war ich sogar größer als die meisten Männer, sie waren höchstens genauso groß wie ich und das auch nur selten. Das war eine sehr merkwürdige Umstellung. Ebenfalls merkwürdig schienen mir unsere entgegengesetzten Ansichten über „exotische Haut“. Die meisten Europäer verstehen darunter eine knackig sonnengebräunte Haut. Die Balinesen sehen das ganz anders. Für sie bedeutet braune Haut harte Arbeit, Austrocknung – durch die Gischt am Meer – und Schmutz, der bei fast jeder Tätigkeit entsteht, da der Lebensstandard nicht so hoch ist wie in Europa. Weiße Haut ist für sie schön, rein und jung. Über diese Absolutheit der Aussagen konnten wir uns nicht mit ihnen einigen, aber in einem hatte ein Balinese recht: „Ihr habt es gut. Wenn ihr braun werden wollt, fahrt ihr einfach in den Süden. Aber wo kann ich hinfahren, um weiß zu werden?“

Namen: Etwas für uns völlig Fremdes ist die Regelung der Namensgebung auf Bali. Es gibt nur vier Namen, die sich nach der Altersfolge richten. Alle Erstgeborenen heißen Wayan, alle Zweitgeborenen Made (gesprochen mit kurzem a und langem e), die Drittgeborenen heißen Nyoman und die Viertgeborenen Ketut. Sollte es ein fünftes Kind geben, fängt das Namens-Karussell wieder von vorn an. Um die Personen zu unterscheiden, erhalten sie einen zweiten und manchmal noch einen dritten „hinteren“ Namen. Einen in unserem Sinne Familiennamen gibt es nicht. Für die vier Erstnamen gibt es ein paar wenige Alternativen, es ist jedoch nicht sofort ersichtlich, ob es sich um eine männliche oder eine weibliche Person handelt. Auf den Namensschildern las ich Namen wie Mimi, Ariani, Eka, Indra oder Putu. Einige balinesische Eltern geben ihren Kindern nicht mehr die traditionellen Namen, sondern verwenden moderne, importierte Namen.

Religion: Balinesen wirken viel gelassener als Europäer. Das liegt besonders an ihrer Religion. Es schien mir, dass die Menschen durch ihre Religion schon in jungen Jahren sehr reif und respektvoll auftreten. Ihre Religion verbindet sie alle miteinander und macht sie quasi zu Familienmitgliedern.

Info:
Balinesen sind ein sehr gläubiges Volk. Seit dem 15. Jahrhundert kamen die Araber nach Indonesien und verbreiteten den Islam. Diejenigen, die sich weigerten, die neue Religion anzunehmen, gingen nach Bali und Lombok. Daher findet man nur noch auf diesen beiden Inseln Hinduismus und Buddhismus. Über 90 Prozent der Balinesen sind Hindus. Der Rest verteilt sich auf Islam, Christentum und Buddhismus. Hindus glauben an Karma. Sie bemühen sich sehr, ein gutes Leben zu führen und sind gut zu anderen Menschen, um in ihrem nächsten Leben mehr Glück zu haben. Daher sind sie auch nicht neidisch auf andere. Nach ihrem Glauben hat alles seinen Grund. Sie gehen nicht täglich in den Tempel, aber jeder Haushalt hat seinen eigenen Haustempel, der zum Berg „Agung“ ausgerichtet ist, auf dem ihr Gott seinen Sitz hat. Jeder bringt täglich ein kleines Opfer, das aus einer Schächtelchen mit Blumen, Weihrauch und Wasser besteht. Diese kleinen Opfergaben findet man nicht nur in Tempeln, sondern auch an fast jeder Straßenecke. „Religion ist Leben und Leben ist Religion auf Bali. Religiöse Riten und Feste begleiten die Menschen von der Geburt bis zum Tod und über den Tod hinaus. Sie sind Grundlage des Zusammenhalts von Familie und Dorfgemeinschaft. Religiöse Riten werden wirksam bei der Gründung eines Dorfes, sie ordnen das Familienleben und sind die ethischen Leitlinien des ganzen Volkes. Feiertage, Volksvergnügungen und Versammlungen werden stets von einer Tempelzeremonie eingeleitet“(aus Wikipedia)

Gläubige beim Beten im Muttertempel

Durch meine Bekanntschaft mit der Balinesin Eka, lernte ich, wie stark sich das Leben auf Bali von unserem unterscheidet. Es gibt zum Beispiel kein richtiges Wochenende. Arbeitern steht wöchentlich ein freier Tag zu, doch der liegt bei jedem unterschiedlich. Krankenversicherung und Rente gibt es nur für Beamte. Die Schere zwischen Arm und Reich ist sehr groß, wobei die arme Bevölkerung die deutliche Mehrheit darstellt. Meine Bekanntschaft mit Eka kam relativ überraschend. Ich verließ gerade einen Supermarkt, dessen Ausgang in ein Restaurant führte, als urplötzlich eine kleine, dunkelhaarige Kellnerin an mir vorbeischoss, die dabei eines der unzähligen Tabletts verlor. Das war Eka. Wir freundeten uns an. Sie erzählte mir, dass sie 17 sei, und abends in diesem Restaurant arbeite, um ihre Familie, ihre Eltern und ihren kleinen Bruder, finanziell zu unterstützen.

Info:
Die Balinesen gehen nur 9 Jahre zur Schule. Sie lernen Indonesisch, Balinesisch, Englisch und eine weitere Fremdsprache. Das Fach Biologie kennen sie zum Beispiel nicht. Trotzdem kennt sich jeder mit den einheimischen Tieren und Pflanzen aus. Das müssen sie auch, denn es gibt unzählige gefährliche Arten, weshalb auch nicht alle Inseln Indonesiens besiedelt sind. Die Kinder haben im gesamten Schuljahr nur 6 Wochen Ferien und gehen auch samstags zur Schule. Dafür haben sie viele freie religiöse Tage, denn für jeden Tempel findet alle 210 Tage ein Tempelfest statt. Diese Tempelfeste sind allerdings sehr teuer, was die Armen zusätzlich belastet.

Abenteuer: Nach unserer geführten Rundreise hatten wir Zeit für private, etwas abenteuerlichere Touren. Am stärksten hat mich die Regenwaldwanderung beeindruckt. Die Bäume, z.B. Bambus, Banyanbäume oder Mangobäume haben mit bis zu 45 Metern eine unbeschreibliche Größe, mindestens dreimal so groß wie in Europa. Es ging steile Hänge hinab, über Flüsse, durch den Dschungel voller Gestrüpp, Lianen und Sträucher. Trotz der Regenzeit, die auf Bali von April bis Oktober dauert, ist es immer nass und rutschig im Regenwald. Nach drei Stunden im Dschungel kamen wir verdreckt, klitschnass und – wie in meinem Fall – mit ein paar Blutsaugern bestückt erschöpft aus dem Urwald.

Im Regenwald

Etwas angenehmer war es, die Delfine im Indischen Ozean zu beobachten, auf einem Elefanten zu reiten oder das Schnorcheln in der Blauen Lagune zu genießen. Ich habe noch nie so viele unterschiedliche Korallenformen gesehen. Es war, als dürfte ich in einem riesigen Aquarium mit Nemo und seinen Freunden schwimmen. Nur der kleine Hai, versteckt in einer kleinen Steinhöhle am Grund, der mir durch die Taucherbrille erschreckend riesig vorkam, sorgte für etwas Aufregung. Aber er war harmlos.

Durch die starke Tourismusbranche gibt es natürlich „verwestlichte“ Orte wie Kuta. Am 12. Oktober 2002 wurden 202 Menschen bei Sprengstoffattentaten in zwei Diskotheken in Kuta getötet. Ein weiterer Anschlag folgte 2005 am Strand von Jimbaran und in Kuta Beach. Kuta ist für die Australier das, was der „Ballermann“ auf Mallorca für manche Europäer bedeutet. Es sind auffallend viele Chinesen, Japaner und Australier auf der Insel. Trotzdem behält Bali seine traditionelle Eigenart bei. Man sieht es an religiösen Riten wie den Opfergaben, den Sarongs der Balinesen, der Musik, den Gerichten (Meeresfrüchte und Reis), der Kleidung (entweder einfach und praktisch oder sehr farbenfroh) und natürlich an den religiösen Akten wie tägliches Beten oder die regelmäßig stattfindende Tempelfeste.

Fazit: Vieles, was ich in diesen 2,5 Wochen auf der Insel Bali erlebt und erfahren habe, hat mich tief beeindruckt und ein wenig verändert. Da ist die gelassene Art der Balinesen und ihre Fähigkeit, die kleinen Dinge des Lebens hoch zu schätzen und zu achten. Auch die Tatsache, dass die Balinesen nicht neidisch zu sein scheinen, sondern stets versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen, dass sie jederzeit zu einem Scherz aufgelegt sind und viel lachen, gefällt mir. Das Thema Religion war mir bisher fern und ungreifbar, doch auf Bali ist es mir täglich begegnet, es ist allgegenwärtig. Schon die Begrüßung der Balinesen geht auf ihre Religion zurück: Die Handflächen werden vor dem Körper aufeinander gelegt, während die Fingerspitzen nach oben zeigen, dann vollführen sie eine leicht angedeutete Verbeugung, während du ein warmes, herzliches Lächeln empfängst. Diese Geste bedeutet: Ich verehre das Göttliche in Dir!

Noreen (Abi 2012, ehemalige Chefred. des „Überfliegers“)

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