Ich stand vor der Pension -Tür 12. Das war sie. Jahrelang waren meine Freundin Nina und ich über mehrere hundert Kilometer getrennt gewesen und nun war es nur noch diese Tür. Sie hatte mir gesimst, sie war schon da. Ich bildete mir ein, ihre Nähe spüren zu können. Ich konnte es noch nicht glauben. Ich klingelte. Die Tür öffnete sich. Und da war sie. Dann ihr Lachen. Ihre Freudentränen. Meine Freudentränen. Dann die erste Berührung: Eine ganz feste Umarmung, die nicht enden wollte. Eigenartig quiekende Geräusche jubelten aus uns heraus. Wir trafen uns – endlich und zum ersten Mal.
Vor zwei Jahren hatte ich Nina im Internet kennengelernt. In Gruppen bei schülervz hatten wir geschrieben, meist als einzige und total ungezwungen. Sie lebt in Bremen. Nach ein paar Monaten tauschten wir Nummern und seitdem telefonierten wir auch. Und schrieben private Mails. Und schrieben Briefe. Und schrieben auch über icq. Unsere Freundschaft war eher unnormal. Wir hatten uns nie gesehen und waren uns doch vertrauter als vielen, die wir tagtäglich um uns hatten. – Was uns vor allem verbindet, ist die Musik. „Wir sind Helden“ ist unsere gemeinsame Lieblingsband (die übrigens jetzt ihre Pause beendet hat und ihr neues Album „Bring mich nach Hause“ rausbringt!). Dann wurde dieses Festival angekündigt. Das Open Flair Festival in Eschwege, auf dem „die Helden“ eines ihrer ersten Konzerte spielen würden. Okay, sagten Nina und ich. Treffen wir uns in der Mitte? Jaaaa! War die Antwort. Gesagt, getan. Die Wochen der Vorfreude vergingen langsam! Das spiegelte sich in den Handy-Rechnungen wider, denn wir telefonierten nun ziemlich oft, planten alles mehrmals durch und waren bald so hibbelig, dass unser Wortschatz der positiven Gefühlsausdrücke schon erschöpft war.
Nun war es also soweit. Wir standen uns gegenüber und die Situation war extrem merkwürdig. Wir wussten zunächst nicht, was wir sagen sollten! Wir kannten uns einerseits so gut, wie sich enge Freundinnen eben kennen. Andererseits hatten wir bedeutende Punkte einer engen Freundschaft aufgrund der Entfernung versäumt: Spontane Treffen, gemeinsame Chill-Nachmittage, die Schulter der anderen zum Ausheulen und Trösten, zusammen lachen… Und trotzdem waren wir immer füreinander da gewesen. Komisch. – Nachdem der erste merkwürdige Moment überstanden war, lagen wir die ganze Nacht auf unseren Betten und redeten. Hauptsächlich über das Festival. Es war eigentlich genauso, wie mit ihr zu telefonieren. Nur schöner. Wir verstanden uns super! Das war meine größte Sorge gewesen. Es hätte ja auch anders kommen können, das Treffen hatte ein bisschen von einem Blind Date. Alles ist super, bis man sich sieht und denkt: Ach du Schreck, worauf habe ich mich da eingelassen? Aber so war es gar nicht. Ich war selig.
Am nächsten Tag rockten wir das Festival, was ebenfalls super lief. Ich konnte mit ihr Witze machen, ich konnte mit ihr lachen, mit ihr reden, mit ihr Spaß haben. Streetlight Manifesto, Madsen, The Hives und Ska-P waren die Höhepunkte des Tages. Am nächsten Tag trafen wir noch zwei Freundinnen von Nina, mit denen ich mich auch sofort verstand und die ich auch übers Internet kenne. Mit Timid Tiger, Livingston und Das Pack vertrieben wir uns den Tag bis zum Abend, wo unser persönlicher Höhepunkt wartete. – „Wir sind Helden“ sollte spielen. Um 21:30 Uhr sollten sie auf der Freibühne auftreten und wir saßen von 12:00 Uhr an in der ersten Reihe. Ja, so sind wir. Ein bisschen verrückt. Aber das macht nichts, wir waren zu viert und uns musste nichts peinlich sein mit unseren Helden-T-Shirts. Vor den Helden spielten Blood Red Shoes, die finden wir persönlich auch sehr gut, aber doch nichts im Vergleich zu den Helden!! Danach wurde umgebaut. Wir kannten die Umbau-Leute der Helden natürlich und wurden langsam angespannt. Drei Jahre Pause. Drei Jahre Warten. Drei Jahre nicht vergessen. Und jetzt waren sie wieder da. Und wir waren da. – Das Konzert begann und am Ende kam es uns nicht wie eine Stunde, sondern wie 5 Minuten vor. Wir hüpften (meine Knie sind jetzt blau, weil ich immer vorn gegen die Absperrung geknallt bin, aber was macht das schon!?), rockten, schrien, weinten, lachten, jubelten, himmelten sie an und fielen in Ohnmacht. Der Security-Mann (an dieser Stelle ein großes Lob an die besten und coolsten und lustigsten und lebensrettendsten Securities, die wir ever hatten!) belebte uns mit Wasser wieder. Dann waren sie weg. So schnell, wie sie gekommen waren. Wir kloppten uns um die Set-Liste und bekamen sie – natürlich.
Und dann mussten wir uns schon voneinander verabschieden. Wir haben geheult wie die Schlosshunde (an dieser Stelle wollte ich erwähnen, dass ich eigentlich keine Heulsuse bin …). Aber es gibt ein Wiedersehen. Bremen ist nicht die Welt entfernt und ganz bald werde ich sie alle besuchen. Bis dahin werden uns wohl wieder nur das Internet und das Telefon als Kommunikationsmittel bleiben. Aber wir schaffen das. Unsere Freundschaft hat sich durch das Treffen verstärkt und wird auch noch lange halten.
Helen, 10b