Die Dinge werden sich ändern in den kommenden Tagen

Die kommenden Tage

„Die kommenden Tage“ Regie und Drehbuch von Lars Kraume

Filmkritik von Helen B., 10/2

Zwei Schwestern aus gesichertem Zuhause in einer destabilisierten Welt der Zukunft im Jahr 2020. Beide sind auf der Suche nach Glück. Doch politische Konflikte führen zum zunehmenden Zerfall der gewohnten Ordnung, der Werte der Zivilisation.

Laura Kuper (Bernadette Heerwagen) verliebt sich nach ihrem Studium in Hans (Daniel Brühl), kann mit ihm aber keine Kinder bekommen, was immer ihr größter Wunsch war. Lauras ganze Familie scheint  zu brechen wie Eisschollen. Alle leben sich auseinander und können ihre Liebe zueinander nicht zeigen. Aber nicht nur die Familie steckt in einer Krise, sondern die ganze Welt. Es herrscht Krieg um die wenigen Ölressourcen, die EU ist auseinandergebrochen. Lauras Schwester Cecilia (Johanna Wokalek) wünscht sich endlich erwiderte Liebe und findet sie scheinbar bei Konstantin (August Diehl), der diese kaputte Welt von ganzem Herzen hasst und vor allem diese Gesellschaft, die sich größtenteils längst mit dem Verfall abgefunden hat. Er ist Mitglied der Terrorgemeinschaft „Schwarze Stürme“. Ihre Devise: So wenig Menschen wie möglich töten, mit möglichst großen Zeichen. Widerstand. Cecilia wird mit hineingezogen – aus Liebe zu Konstantin.

Cecilias Schwester Laura fährt mit Freund Hans in die Berge, wo Hans ihr eine kleine Landhütte zeigt. Er will mit ihr dort leben. Laura reagiert entsetzt, sie gehöre doch in die Stadt! Es gibt mehrere Zeitraffer in dem Film und einige Jahre später spitzt sich die Situation zu. Cecilia wird nach einem Bombenanschlag in einem Restaurant verhaftet und Laura verliebt sich in Konstantin – für mich etwas schwach vom Drehbuch her, denn obwohl ich mich den ganzen Film über sehr gut in Laura hineinversetzen konnte, finde ich diese Entscheidung unbegreiflich. – Mit ihm bekommt Laura auch endlich ihr lang ersehntes Kind. Doch dann erfährt sie, dass Konstantin Anführer der „Schwarzen Stürme“ ist und fährt Hals über Kopf in die Berge. Zu Hans, der jetzt dort leben müsste, seitdem Laura vor vielen Jahren die Frage, ob sie mit ihm dort leben wolle, verneint hatte. Tatsächlich findet sie ihn. Er nimmt sie vorerst auf. Laura lebt nun verlassen in diesem Berghaus – mit einem afrikanischen Jugendlichen , der einst Soldat war, als Hauswächter. Das ist der einzige Weg, wie man noch einigermaßen sicher leben kann. Noch vor ein paar Jahren hat Laura dies nicht für möglich gehalten. Plötzlich kommt ein Auto. Im Auto sitzt Konstantin. Kann Laura ihm vertrauen und ihm das Kind zeigen?

Das Filmende ist brutal überraschend. Es war für mich noch ein Schlag obendrauf – auf mein Erschrecken über die bisherige Entwicklung der Handlung. Es wird nicht „alles gut werden“. Wie auch? Wir können nicht entfliehen. Als der Film zu Ende war, wollte ich schnell raus aus dem Kino, stolz, nicht geweint zu haben. Doch da kam er: der Abspann. Mit „Bring mich nach Hause“ von „Wir sind Helden“, meiner Lieblingsband. Das hatte ich ganz vergessen. Da war für mich alles zu spät.

Ich hatte den Film vorab total unterschätzt. Ich musste noch lange über ihn nachdenken. Schockierend wirkte auf mich, dass in den Supermärkten die Regale fast völlig leer sind, dass der Müll haufenweise auf den Straßen liegt. Aber all das ist immer nur Hintergrund, erstrangig geht es um die Familie Kuper, vor allem um Laura. Die Darsteller spielen sehr überzeugend, ich mochte schon vor dem Film ihre Spielweise sehr; sie zählen ja auch zu den zur Zeit „großen“ deutschen Schauspielern. Im Film „Die kommenden Tage“ wird sehr viel angestoßen: gesellschaftliche und politische Probleme der Zukunft, die heute zum Teil schon sichtbar sind. Ich hätte mir gewünscht, dass aus dem Anstoßen ein „Umklammern“ geworden wäre, dass die Problematik vertieft worden wäre. – Die Szenerie des Films wirkt insgesamt sehr realistisch, es ist kein Actionfilm und es ist ein deutscher Film; vielleicht auch deswegen ging er mir persönlich so nah.

Noch lange ist auch diese Terrorgruppe, die sich mit allen Mitteln gegen die Zustände wehren wollte, in meinem Kopf herumgeschwirrt. Ich habe mich in Cecilias Lage versetzt und war darüber erschrocken, wie schnell es passieren kann, in terroristische Aktionen zu geraten. Es ist nicht in Ordnung, dass die Menschen nichts tun, das muss man doch! Ich will wieder Frieden und nicht jeden Tag in Angst leben! Aber ist Terror nicht genau der falsche Weg? Wie in einer Sekte wird den Anhängern immer wieder weisgemacht, dass es gut sei, was sie tun: Bomben legen, den Strom der ganzen Stadt lahmlegen und dann auf allen Werbetafeln „SCHWARZE STÜRME“ einblenden… Ein Entkommen gibt es für niemanden. Man spürt die Ängste hautnah. Es wird geschossen, es wird gemordet, nicht oft, aber gerade dann, wenn der Zuschauer eine Verbindung zu der Person aufgebaut hat.

„Die kommenden Tage“. Ein realitätsnaher Film, der Fragen aufwirft, schockiert und zum Nachdenken anregt. Für meinen Geschmack ist er insgesamt zu ernst, zu sehr „Katastrophe“. Ich hätte mindestens einmal schmunzeln wollen, um ihn uneingeschränkt gut zu finden. Stattdessen: ein Schuss, ein Knall, eine Prügelei, ein Streit nach dem anderen, das geht alles sofort unter meine dünne Haut. Dieser Film wird mir noch lange in Erinnerung bleiben, sehenswert ist er jedenfalls.

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